Vom "Schrecken" der absoluten
Mehrheit *)
Mehrheiten können bestimmen. Das klingt nach Herrschaft über Menschen, das
klingt nach Unterdrückung anderer Meinungen. Man kann die Dinge auch anders
sehen. Entscheidungen sind in Parlamenten oder anderen Gremien nur mit
Mehrheit möglich. Müssen Mehrheiten erst zu jeder Abstimmung zwischen den
Vertretern verschiedener Interessengruppen gesucht werden, entstehen oft
“faule" Kompromisse, die niemanden zufriedenstellen.
Mehrheit in Parlamenten heißt, die Verantwortung ist für eine beschränkte
Zeit vom Wähler der Mehrheit übertragen worden. Demokratie vergibt
Verantwortung immer nur auf Zeit. Dann muss man neu vor die Wähler treten.
Dies ist einer der wesentlichsten Grundsätze in der Demokratie.
Der Mehrheitsgrundsatz hat sich in den Revolutionen des 18. Jahrhunderts
herausgebildet. Es gilt: die Minderheit muss die Entscheidung der Mehrheit
anerkennen. Gleichzeitig muss der Minderheit die Chance gegeben werden,
selbst Mehrheit zu werden.
Viele Wahlsysteme sind so angelegt, dass entscheidungsfähige Mehrheiten
zwingend als Ergebnis am Ende einer Wahlentscheidung stehen. So z. B. in
Großbritannien oder in den USA. Koalitionen sind hier bewusst nicht gewollt.
Würden trotz Mehrheiten Koalitionen eingegangen oder Verantwortung nicht
wahrgenommen werden, käme dies einer Missachtung des Wählerwillens gleich.
Entscheidend für die Mehrheitsvertreter ist, ob sie mit dieser vom Wähler
auf Zeit gegebenen Mehrheit verantwortungsbewusst umgehen. Auch ist die
Verantwortung auf diese Weise klar zuzuordnen und kann nicht hin und her
geschoben werden.
Die Hammersbacher Wähler haben bei der letzten Kommunalwahl der SPD mit
überwältigender Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen und sie mit einer
klaren, entscheidungsfähigen Mehrheit ausgestattet. Verpflichtung und
Ansporn, gewissenhaft zu arbeiten.
Allen Abstimmungen in der Hammersbacher Gemeindevertretung gehen bei den
Sozialdemokraten Fraktionssitzungen voraus. Diese Sitzungen nehmen meist
wesentlich längere Zeit in Anspruch als die eigentlich
Gemeindevertretersitzungen, oft 3 bis 4 Stunden bis in den späten Abend
hinein. Hier wird intensiv in einem zum Teil kontroversen
Meinungsbildungsprozess um die besten Wege gerungen. Keine einzige Meinung
und kein einziger Redebeitrag bleibt ungehört. Dieses ebenso faire wie
aufwändige Verfahren können die Neubewerber für das Gemeindeparlament
bestätigen. Sie haben vor ihrer Entscheidung zu kandidieren ein Jahr die
Arbeit der SPD-Fraktion begleitet. Die Hammersbacher Sozialdemokraten sind
mit Recht stolz auf ihren verantwortungsbewussten und lebhaften
innerfraktionellen Meinungsbildungsprozess, der immer auch versucht, die
Position der anderen Fraktionen zu verstehen und gründlich abzuwägen.
In der Gemeindevertretung selbst wird das in der Fraktionssitzung erarbeite
Meinungs- und Entscheidungsbild im Regelfall vom Fraktionsvorsitzenden
vorgetragen und begründet. Getragen wird es gemeinsam. Dass dazu so etwas
wie “Fraktionszwang” nicht nötig ist, versteht sich von selbst, wenn man
bedenkt, wie offen der Prozess der Entscheidungsbildung vorher verläuft.
*) Anmerkungen zu einer Dauerkampagne
der örtlichen CDU
aus: KONTAKTE 12/00
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